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Alt 07.01.2007, 14:12
redaktion redaktion ist offline
Karla Kolumna
 
Registriert seit: 02.01.2007
Beiträge: 40
Standard Theologe und Lieddichter Paul Gerhardt

Evangelische Kirche feiert "Paul-Gerhardt-Jahr"



Theodor Fontane schätzte seine "Tröstelieder" ebenso wie der Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer. Es sei "gut, Paul-Gerhardt-Lieder zu lesen und auswendig zu lernen, wie ich es jetzt tue", schrieb er seinen Eltern aus der Gestapo-Haft vor seiner Hinrichtung 1945. Noch rund 400 Jahre nach Gerhardts Geburt - am 12. März 1607 in Gräfenhainichen bei Dessau - rühren seine Zeilen Komponisten an und inspirieren sie. Das Paul-Gerhardt-Jahr der evangelischen Kirche beginnt am Sonntag.

Paul Gerhardts Leben und Dichtung war geprägt von Kampf und Verwüstung sowie privaten und beruflichen Rückschlägen. Der 30-jährige Krieg und seine Folgen prägten ihn und die Menschen seiner Zeit. Aber statt Trauer und Resignation vermittelte der seit 1657 als Pfarrer an der Berliner Nikolaikirche beschäftigte Gerhardt Zuversicht und Hoffnung. Geh aus, mein Herz, und suche Freud ermuntert zu einem Aufbruch zu neuer Lebensfreude. Zuversicht charakterisiert die Verse Gerhardts, die er zu vielfältigen Anlässen und Themen schrieb, so dass seine Dichtung zu jeder Tageszeit und Gelegenheit durchs ganze Jahr begleitet. Der erste Bewunderer von Gerhardts Lyrik war Johann Crüger (1598-1662), Kantor an der Berliner Nikolaikirche. Der viel gereiste Mann war musikalisch polyglott. Über Berlin hinaus war er bekannt als Komponist, der die Tradition des lutherischen Gemeindeliedes, des Andachtsliedes ebenso wie die der Psalmlieder der französisch-reformierten Kirche aber auch die Musik Italiens beherrschte.

Mit diesem Rüstzeug unterstrich er kongenial Sinn und Inhalt von Gerhardts Poesie der Innerlichkeit. So entstand Andachtsmusik im Sinne "doppelt betet, wer singt". Als Herausgeber des Gesangbuchs "Praxis Pietatis Melica. Das ist Übung der Gottseligkeit in christlichen und trostreichen Gesängen", nahm Crüger in der Ausgabe von 1647 zunächst 18 Lieder von Paul Gerhardt auf, darunter Wach auf, mein Herz und das Abendlied Nun ruhen alle Wälder. Bis 1661 veröffentlichte Crüger fast 100 von insgesamt rund 130 Liedern Gerhardts. Die eingängigen Melodien und Texte ließen sich leicht auswendig lernen – für den größten Teil der Bevölkerung, der weder lesen noch schreiben konnte, eine große Hilfe. Die frühen Vertoner von Gerhardts Texten, Crüger und sein Nachfolger Georg Ebeling (1637-1676) notierten zu ihren Melodien zudem erstmals den Generalbass, so dass sich der musikalisch Versierte mit Cembalo, Orgel oder Laute zu Hause akkordisch begleiten konnte. Da das Gesangbuch als allgemein verbreitetes Sing-, Haus- und Schulbuch diente, gehörten die Gerhardt-Lieder bald zum musikalischen Hausschatz. Noch heute enthält das Evangelische Gesangbuch im Stammteil 26 Lieder Paul Gerhardts. In viele Sprachen übersetzt sind sie zudem in den meisten Ländern verbreitet – bereits in Gerhardts Sterbejahr 1676 wurde sein Lied O Haupt voll Blut und Wunden in Schweden in Übersetzung gesungen.

Dass das Liedgut Gerhardts noch heute geläufig ist, ist nicht zuletzt Johann Sebastian Bach zu verdanken. Für seine Kantaten, die er als Thomaskantor in Leipzig wöchentlich abzuliefern hatte, verwendete er gern bekannte Choräle mit den damals gängigen Melodien. Gerhardts Poesie mag es ihm besonders angetan haben, weil sie im Geist der Frömmigkeitsbewegung verfasst war. Sowohl Gerhardt als auch Bach besaßen das Standardwerk der lutherischen Orthodoxie "Von wahrem Christentum" von Johann Arndt (1555-1621).

In Bachs Passionen und im Weihnachtsoratorium vertreten Gerhardt-Choräle die Stimme der Gemeinde und stehen an zentraler Stelle. So folgt in der Matthäuspassion nach der Schilderung des Todes Jesu der Choral Wenn ich einmal soll scheiden als ein Moment des Innehaltens. Die Gedichte Gerhardts blieben nicht nur zeitlos, sondern auch zeitnah durch die vielfältigen Vertonungen in den jeweiligen Stilen der Jahrhunderte. Als "Hauptstück meines Paul-Gerhardt-Liederbuches" bezeichnete etwa Ernst Pepping (1901-1981) seinen Choral O Haupt, voll Blut und Wunden. Er komponierte ihn 1946 unter dem Eindruck des Zweiten Weltkrieges. Den selben Choral zitierte der Pop-Sänger Paul Simon in seinem Song American Tune (1973), dem Lied eines Desillusionierten.

Von Sigrid Olschewski, epd

(Quelle)
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